Donnerstag, 7. Mai 2015

Kannste doch nicht machen, Alte!

Annegret Raunigk ist ein Phänomen. Also nicht sie selbst, sondern die Reaktionen auf ihre Schwangerschaft, denn sie begeht in den Augen des deutschen Michels gleich einen dreifachen Sündenfall. Zum ersten bekommt sie Vierlinge, obwohl sie schon 13 Kindern und 7 Enkelkindern hat, und bei so einer Nachkommenschaft muss man ja in Deutschland gleich als asozial stigmatisiert werden. Zum zweiten wurden ihre Embryonen mittels Samen- und Eizellspenden erzeugt, da fehlt doch komplett der genetischen Bezug! Bei Adoption ist das zwar auch so, aber trotzdem. Schlimm. Schlimm. Und zuletzt ist sie auch noch 65 Jahre alt! Das ist ja wohl das Letzte. Komisch, alten Männern hingegen wird bei sowas ob ihrer fertilen Leistung eher noch auf die Schultern geklopft. Jedenfalls ist es von rechts bis ganz links gesellschaftlicher Konsens, dass sowas nicht sein darf. Da geißelt beispielsweise Jakob Augstein das ganze als „Neoliberalismus als Biopolitik“ (was für ihn wohl soviel heißt, dass jeder tun kann was möglich ist und er das doof findet), und Jens Spahn (CDU) hat zumindest „große Zweifel“, ob so eine Schwangerschaft sinnvoll ist. Besonders empört tun sich natürlich diverse Zeitungskolumnen auf, deren Hauptargument Ursula Hildebrand besonders treffend zusammenfasst:

"Irgendetwas hat die [Natur] sich gedacht, dass Frauen ab einem gewissen Alter keine Kinder mehr bekommen können, das sollte bitte mal jemand dieser egoistischen Berlinerin erklären."

Eben. Basta. Soll sich diese egoistische Berlinerin mal an die Natur halten, die weiß schon was gut für uns ist. Sowas nennt man übrigens einen naturalistischer Fehlschluss, nämlich aus einer natürlichen Gegebenheit oder Normalität eine zukünftige Handlungsvorschrift abzuleiten. Dabei ist Widernatürliches doch bei allen Belangen der Fortpflanzung eine ganz praktische Sache, wenn ich so an Kaiserschnitt, Kondome, Karyogramm oder künstliche Befruchtung denke.

Eier mit Verfallsdatum


Ich will mich jetzt noch weiter auf die Thematik Schwangerschaft im hohen Alter versteifen, davor aber kurz erklären, warum Frauen eigentlich solche Probleme damit haben, während der Mann theoretisch bis ins hohe Alter fertil bleibt, und wieso eine konventionelle Schwangerschaft in jungen Jahren biologisch gesehen am besten ist. Im Grunde liegt es an einer Gemeinheit der Natur, wie sie die Art und Weise der Bildung unserer Geschlechtszellen definiert hat. Alle unsere Zellen besitzen 23 Chromosomen in doppelter Ausführung (man spricht von komplementären Chromosomen). Spermien und Eizellen haben dagegen nur eine einfache Ausführung, die Chromosomenzahl muss also halbiert werden. Dazu werden die 46 Chromosomen aber zunächst mal verdoppelt, aber nicht voneinander getrennt und sehen anschließend aus wie ein „X“. In der Reifeteilung I (oder Meiose I) werden die komplementären X-Chromosomen voneinander getrennt und anschließend die Zelle geteilt. Jetzt haben wir also zwei Zellen mit jeweils 23 X-Chromosomen. In der darauffolgenden zweiten Reifeteilung wird jetzt jedes der X-Chromosomen auseinandergerissen und die Zelle erneut geteilt. Wir erhalten somit unsere Spermien oder Eizellen mit genau 23 Chromosomen mit einem einfachen Erbgutsatz. Nach einer Befruchtung ergeben sich wieder 46 Chromosomen und der Grundstein für einen neuen Menschen ist gelegt.

Die Reifeteilung: Chromsomen werden zunächst verdoppelt, aber nicht voneinander getrennt ("X") und anschleißend die komplementären Chromosomen voneinander getrennt (Reifeteilung I). In der Reifeteilung II werden dann die X-Chromosomen voneinander getrennt. Eizellen bleiben bis zum Eisprung in der Reifeteilung I stecken. (Quelle: gemeinfrei)


Nun zum anschaulichen Teil: Beim Mann werden Zeit seines Lebens Spermien in den Hoden gebildet. Er hat quasi immer ein frisches Magazin im Lauf. Bei der Frau gestaltet sich das etwas anders. Bei ihr werden alle Eizellen schon vor ihrer Geburt bereitgestellt, stoppen jedoch mitten in der Reifeteilung I. Das hat zwei blöde Nachteile. Zum einen besitzt die Frau nur ein begrenztes Kontingent an Eizellen, da keine neuen nachgebildet werden. Zu Beginn der Menopause gehen diese dann zur Neige und entsprechend endet auch die Fruchtbarkeit. Zum anderen müssen die Eizellen Jahrzehnte lang (also mindestens bis zur ersten Regelblutung) in der ungemütlichen Position ihrer ersten Reifeteilung ausharren. Dabei werden die komplementären X-Chromosomen durch ein Molekül namens Cohesin-Komplex paarweise zusammengehalten. Das ist wichtig, damit die Aufteilung der Chromosomen in die Tochterzellen auch richtig vonstatten geht. Jetzt kann dieses Cohesin aber über die Jahre kaputt gehen. Es kommt zu Unordnung unter den Chromosomen und sie können falsch in die Tochterzellen einsortiert werden. Den entstandenen Effekt nennt man Aneuploidie und er kann zur Unfruchtbarkeit, Fehlgeburt oder Behinderung (z.B. Down-Syndrom) des Säuglings führen. Es gibt jedoch eine Möglichkeit sowohl die Fruchtbarkeit der Frau als auch die Qualität ihrer Eizellen aufrecht zu erhalten.

Social freezing: Freiheit oder Zwang?


Letztes Jahr sorgten die Unternehmen Facebook und Apple für Furore, weil sie social freezing für ihre Mitarbeiterinnen fördern wollen. Social freezing bezeichnet die Entnahme und Lagerung von Eizellen, damit diese zu einem späteren Zeitpunkt befruchtet und der Spenderin wieder eingesetzt werden können. Die Unternehmen sehen darin eine verbesserte Lebensplanung für ihre weiblichen Angestellten. Und genau daran hängen sich die meisten Kritiker auf. Verführen solche Konzepte vielleicht die Frauen dazu sich gegen Kinder und für ein ausfüllendes Berufsleben entscheiden? Ich denke, nicht mehr und nicht weniger als z.B. Firmen-geförderte Kita-Projekte. Es ist doch offensichtlich, dass Konzerne ein ökonomisches Interesse an der Familienplanung ihrer Mitarbeiter haben. Aus solchen Förderungen seitens der Untenehmen einen Zwang abzuleiten, der vielleicht zu einer vollständigen Vereinnahmung der persönlichen und biologischen Freiheiten durch die Industrie führt, scheint mir doch etwas abwegig. Reinhard Müller (FAZ) fabulierte sogar, „warum [Konzerne] nicht gleich aus den Organen verdienter Mitarbeiter ein Ersatzteillager machen“ sollten. Das hat zwar nichts mehr mit dem Thema zu tun, kling aber auf jedenfall schön gruselig.

Nun gibt es für eine junge Frau neben der Karriere auch andere Gründe social freezing zu nutzen. Einige junge Paare wollen vielleicht zunächst einer zeitaufwändigen Freizeitbeschäftigung nachgehen. Manche Frauen haben noch nicht ihren passenden Partner gefunden oder wollen mit ihm erst einige Jahre zusammenleben, bevor an den Nachwuchs herangegangen wird. Oder sie haben einfach noch keinen Bock aufs Kinderkriegen. In Hinblick auf die drohende Menopause und die sinkende Qualität ihrer Eizellen ist social freezing dann durchaus sinnvoll.

Auf der Contra-Seite stehen medizinische Komplikationen einer Schwangerschaft im höheren Alter, wie Diabetes und Bluthochdruck, im Vergleich zu einer Schwangerschaft unter 30. Es ist schwer einzuschätzen, ab welchem Alter der Frau eine Schwangerschaft als riskant gilt. Meine persönliche Einschätzung wäre, dass es weniger auf das Alter als auf die körperliche Fitniss der Frau ankommt. Ein weiteres Problem ist, dass die Entnahme der Eizellen in jungen Jahren am sinnvollsten ist (wie oben erklärt). Nun sind sich viele Frauen anfang 20 vermutlich noch nicht so sicher, wie ihr Leben weiterverlaufen soll und ob sie sich der bestimmt nicht angenehmen Prozedur der Follikelpunktion unterziehen sollen. Zumal es keine 100 %ige Garantie darauf gibt, ob 10, 20 oder 30 Jahre später die gewünschten Schwangerschaft tatsächlich möglich ist. Und dann kostet das alles ja noch einen Haufen Geld.

Trotzdem sollte es die individuelle Entscheidung der Frau sein, ob, wann und wieviele Kinder sie haben will, und die öffentliche Meinung dazu sollte dabei am wenigsten eine Rolle spielen.

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