Mittwoch, 20. Mai 2015

Das wird ein Knaller

Also, man kann ja von der Alternative für Deutschland halten was man will, aber Bernd Lucke und Frauke Petry wissen halt wie man einen richtig schönen Spannungsbogen aufbaut.




Nachtrag (6.7.2015):


"Bei den Altparteien ist das [gemeint sind parteiinterne Streitigkeiten] doch alles total eintönig und langweilig. [...] langweilig wird es bei uns nicht."
- Bernd Lucke im Interview mit dem Donaukurier (2.7.2015)

Eben. Wobei, jetzt wo am Parteitag alle Liberalkonservativen aus den Spitzenpositionen und womöglich aus der Partei gejagt wurden, wird es wohl doch ein bisschen dröger. Schade.

Ach ja, und Konrad Adam hat auch was tolles gesagt:
„Als rechts gilt heute, wer einer geregelten Arbeit nachgeht, seine Kinder pünktlich zur Schule schickt und der Ansicht ist, dass sich der Unterschied von Mann und Frau mit bloßem Auge erkennen lässt.“

Wer jetzt keine Kinder im schulfähigem Alter hat und keiner geregelten Arbeit nachgeht, aber trotzdem wissen will, ob er links oder rechts ist, kann das mit diesem Quiz leicht rausfinden. So einfach geht das in der AfD. Toll, oder?

Donnerstag, 7. Mai 2015

Kannste doch nicht machen, Alte!

Annegret Raunigk ist ein Phänomen. Also nicht sie selbst, sondern die Reaktionen auf ihre Schwangerschaft, denn sie begeht in den Augen des deutschen Michels gleich einen dreifachen Sündenfall. Zum ersten bekommt sie Vierlinge, obwohl sie schon 13 Kindern und 7 Enkelkindern hat, und bei so einer Nachkommenschaft muss man ja in Deutschland gleich als asozial stigmatisiert werden. Zum zweiten wurden ihre Embryonen mittels Samen- und Eizellspenden erzeugt, da fehlt doch komplett der genetischen Bezug! Bei Adoption ist das zwar auch so, aber trotzdem. Schlimm. Schlimm. Und zuletzt ist sie auch noch 65 Jahre alt! Das ist ja wohl das Letzte. Komisch, alten Männern hingegen wird bei sowas ob ihrer fertilen Leistung eher noch auf die Schultern geklopft. Jedenfalls ist es von rechts bis ganz links gesellschaftlicher Konsens, dass sowas nicht sein darf. Da geißelt beispielsweise Jakob Augstein das ganze als „Neoliberalismus als Biopolitik“ (was für ihn wohl soviel heißt, dass jeder tun kann was möglich ist und er das doof findet), und Jens Spahn (CDU) hat zumindest „große Zweifel“, ob so eine Schwangerschaft sinnvoll ist. Besonders empört tun sich natürlich diverse Zeitungskolumnen auf, deren Hauptargument Ursula Hildebrand besonders treffend zusammenfasst:

"Irgendetwas hat die [Natur] sich gedacht, dass Frauen ab einem gewissen Alter keine Kinder mehr bekommen können, das sollte bitte mal jemand dieser egoistischen Berlinerin erklären."

Eben. Basta. Soll sich diese egoistische Berlinerin mal an die Natur halten, die weiß schon was gut für uns ist. Sowas nennt man übrigens einen naturalistischer Fehlschluss, nämlich aus einer natürlichen Gegebenheit oder Normalität eine zukünftige Handlungsvorschrift abzuleiten. Dabei ist Widernatürliches doch bei allen Belangen der Fortpflanzung eine ganz praktische Sache, wenn ich so an Kaiserschnitt, Kondome, Karyogramm oder künstliche Befruchtung denke.

Eier mit Verfallsdatum


Ich will mich jetzt noch weiter auf die Thematik Schwangerschaft im hohen Alter versteifen, davor aber kurz erklären, warum Frauen eigentlich solche Probleme damit haben, während der Mann theoretisch bis ins hohe Alter fertil bleibt, und wieso eine konventionelle Schwangerschaft in jungen Jahren biologisch gesehen am besten ist. Im Grunde liegt es an einer Gemeinheit der Natur, wie sie die Art und Weise der Bildung unserer Geschlechtszellen definiert hat. Alle unsere Zellen besitzen 23 Chromosomen in doppelter Ausführung (man spricht von komplementären Chromosomen). Spermien und Eizellen haben dagegen nur eine einfache Ausführung, die Chromosomenzahl muss also halbiert werden. Dazu werden die 46 Chromosomen aber zunächst mal verdoppelt, aber nicht voneinander getrennt und sehen anschließend aus wie ein „X“. In der Reifeteilung I (oder Meiose I) werden die komplementären X-Chromosomen voneinander getrennt und anschließend die Zelle geteilt. Jetzt haben wir also zwei Zellen mit jeweils 23 X-Chromosomen. In der darauffolgenden zweiten Reifeteilung wird jetzt jedes der X-Chromosomen auseinandergerissen und die Zelle erneut geteilt. Wir erhalten somit unsere Spermien oder Eizellen mit genau 23 Chromosomen mit einem einfachen Erbgutsatz. Nach einer Befruchtung ergeben sich wieder 46 Chromosomen und der Grundstein für einen neuen Menschen ist gelegt.

Die Reifeteilung: Chromsomen werden zunächst verdoppelt, aber nicht voneinander getrennt ("X") und anschleißend die komplementären Chromosomen voneinander getrennt (Reifeteilung I). In der Reifeteilung II werden dann die X-Chromosomen voneinander getrennt. Eizellen bleiben bis zum Eisprung in der Reifeteilung I stecken. (Quelle: gemeinfrei)


Nun zum anschaulichen Teil: Beim Mann werden Zeit seines Lebens Spermien in den Hoden gebildet. Er hat quasi immer ein frisches Magazin im Lauf. Bei der Frau gestaltet sich das etwas anders. Bei ihr werden alle Eizellen schon vor ihrer Geburt bereitgestellt, stoppen jedoch mitten in der Reifeteilung I. Das hat zwei blöde Nachteile. Zum einen besitzt die Frau nur ein begrenztes Kontingent an Eizellen, da keine neuen nachgebildet werden. Zu Beginn der Menopause gehen diese dann zur Neige und entsprechend endet auch die Fruchtbarkeit. Zum anderen müssen die Eizellen Jahrzehnte lang (also mindestens bis zur ersten Regelblutung) in der ungemütlichen Position ihrer ersten Reifeteilung ausharren. Dabei werden die komplementären X-Chromosomen durch ein Molekül namens Cohesin-Komplex paarweise zusammengehalten. Das ist wichtig, damit die Aufteilung der Chromosomen in die Tochterzellen auch richtig vonstatten geht. Jetzt kann dieses Cohesin aber über die Jahre kaputt gehen. Es kommt zu Unordnung unter den Chromosomen und sie können falsch in die Tochterzellen einsortiert werden. Den entstandenen Effekt nennt man Aneuploidie und er kann zur Unfruchtbarkeit, Fehlgeburt oder Behinderung (z.B. Down-Syndrom) des Säuglings führen. Es gibt jedoch eine Möglichkeit sowohl die Fruchtbarkeit der Frau als auch die Qualität ihrer Eizellen aufrecht zu erhalten.

Social freezing: Freiheit oder Zwang?


Letztes Jahr sorgten die Unternehmen Facebook und Apple für Furore, weil sie social freezing für ihre Mitarbeiterinnen fördern wollen. Social freezing bezeichnet die Entnahme und Lagerung von Eizellen, damit diese zu einem späteren Zeitpunkt befruchtet und der Spenderin wieder eingesetzt werden können. Die Unternehmen sehen darin eine verbesserte Lebensplanung für ihre weiblichen Angestellten. Und genau daran hängen sich die meisten Kritiker auf. Verführen solche Konzepte vielleicht die Frauen dazu sich gegen Kinder und für ein ausfüllendes Berufsleben entscheiden? Ich denke, nicht mehr und nicht weniger als z.B. Firmen-geförderte Kita-Projekte. Es ist doch offensichtlich, dass Konzerne ein ökonomisches Interesse an der Familienplanung ihrer Mitarbeiter haben. Aus solchen Förderungen seitens der Untenehmen einen Zwang abzuleiten, der vielleicht zu einer vollständigen Vereinnahmung der persönlichen und biologischen Freiheiten durch die Industrie führt, scheint mir doch etwas abwegig. Reinhard Müller (FAZ) fabulierte sogar, „warum [Konzerne] nicht gleich aus den Organen verdienter Mitarbeiter ein Ersatzteillager machen“ sollten. Das hat zwar nichts mehr mit dem Thema zu tun, kling aber auf jedenfall schön gruselig.

Nun gibt es für eine junge Frau neben der Karriere auch andere Gründe social freezing zu nutzen. Einige junge Paare wollen vielleicht zunächst einer zeitaufwändigen Freizeitbeschäftigung nachgehen. Manche Frauen haben noch nicht ihren passenden Partner gefunden oder wollen mit ihm erst einige Jahre zusammenleben, bevor an den Nachwuchs herangegangen wird. Oder sie haben einfach noch keinen Bock aufs Kinderkriegen. In Hinblick auf die drohende Menopause und die sinkende Qualität ihrer Eizellen ist social freezing dann durchaus sinnvoll.

Auf der Contra-Seite stehen medizinische Komplikationen einer Schwangerschaft im höheren Alter, wie Diabetes und Bluthochdruck, im Vergleich zu einer Schwangerschaft unter 30. Es ist schwer einzuschätzen, ab welchem Alter der Frau eine Schwangerschaft als riskant gilt. Meine persönliche Einschätzung wäre, dass es weniger auf das Alter als auf die körperliche Fitniss der Frau ankommt. Ein weiteres Problem ist, dass die Entnahme der Eizellen in jungen Jahren am sinnvollsten ist (wie oben erklärt). Nun sind sich viele Frauen anfang 20 vermutlich noch nicht so sicher, wie ihr Leben weiterverlaufen soll und ob sie sich der bestimmt nicht angenehmen Prozedur der Follikelpunktion unterziehen sollen. Zumal es keine 100 %ige Garantie darauf gibt, ob 10, 20 oder 30 Jahre später die gewünschten Schwangerschaft tatsächlich möglich ist. Und dann kostet das alles ja noch einen Haufen Geld.

Trotzdem sollte es die individuelle Entscheidung der Frau sein, ob, wann und wieviele Kinder sie haben will, und die öffentliche Meinung dazu sollte dabei am wenigsten eine Rolle spielen.

Sonntag, 12. April 2015

Die genomische Schönheitschirurgie

Vor ein paar Tagen wurde ich von einer Bekannten auf einen Beitrag von "IQ - Wissenschaft und Forschung" des Radiosenders Bayern 2 aufmerksam gemacht. Darin ging es unter anderem um das CRISPR/Cas-System und dessen Anwendung und Problematik in der Gentechnik. Weil ich gefragt wurde, was das ist, wie das funktioniert und ob die Kritik eigentlich angebracht ist, habe ich diesen Blog-Eintrag verfasst.

Was ist eigentlich CRISPR/Cas?

Das CRISPR/Cas-System ist gewissermaßen das adaptive Immunsystem einiger Bakterien. Diese Organismen besitzten in ihrem Erbgut einen Bereich, der CRISPR genannt wird. Dieser CRISPR-Bereich besteht aus einer Abfolge von jeweils gleichen Sequenzen (den repeats) unterbrochen von Sequenzen die anders aussehen (den spacers). Infiziert man ein Bakterium mit einer Phage (ein Bakterien-befallendes Virus), so baut das Bakterium Teile der Virus-DNA als spacer in die CRISPR-Region ein. Ein solches Bakterium ist anschließend immun gegen den Befall mit dieser Phage. Wie man sich das vorstellen kann, habe ich in der ersten Abbildung mal skizziert. Die Phage injiziert sein Erbgut in das Bakterium. Das Bakterium kann mithilfe eines Cas-Komplexes einen Schnipsel aus der Virus-DNA ausschneiden und ihn in den CRISPR-Bereich einfügen. Auf diese Weise sammelt das Bakterium (und seine Nachkommenschaft) eine große Anzahl an Fremd-DNA-Schnipseln in seinem eigenen Erbgut an. Vom gesamten CRISPR-Bereich kann es Kopien herstellen und, indem es sie an den repeat-Stellen zerschneidet, erhält es eine Abschrift jedes einzelnen Schnipsels. Wenn das nächste Mal eine schon bekannte Fremd-DNA in die Zelle eindringt, helfen diese Schnipsel den Eindringling zu erkennen und mit Hilfe des Cas-Komplexes zu zerstören.

Das bakterielle CRISPR/Cas-System: Eine Phage infiziert ein Bakterium mit ihrem Erbgut (Fremd-DNA). a) Ist diese Erbgut dem Bakterium unbekannte, schneidet der Cas-Komplex ein Stückchen daraus aus und b) fügt den Schnipsel in die CRISPR-Region der Bakterien-DNA ein. Im Laufe der Zeit sammelt das Bakterium verschiedenste Fremd-DNA-Schnipsel an (hier verschiedenfarbig gekennzeichnet). c) Von dem CRISPR-Bereich können Kopien erstellt werden, die an den repeat-Stellen (schwarz) zerschnitten werden. d) Infiziert nun eine schon bekannte Phage das Bakterium, hilft der entsprechende Schnipsel die Fremd-DNA zu erkennen, e) die anschließend vom Cas-Komplex zerstört wird.


Was kann man damit jetzt machen?

In der Gentechnik wird das ganze Prinzip umgekehrt. Nehmen wir an, wir wollen eine Maus erzeugen, in der das Gen A zerstört sein soll. Wir brauchen dazu einen Schnipsel der genau auf den Bereich passt, an dem das Gen A liegt. Deshalb wird der geeignete Schnipsel erstmal im Labor hergestellt. Jetzt brauchen wir noch ein Instrument, das die Maus-DNA in dem Bereich kaputt macht, den unser Schnipsel vorgibt. Dazu nehmen wir das Cas9-Protein aus dem Cas-Komplex. Jetzt spritzen wir dem Maus-Embryo im Einzellstadium unseren selbst hergestellten Schnipsel und das Cas9-Protein. Unser Schnipsel erkennt nun das Gen A und das Cas9 schneidet es an der Stelle kaputt. Wir könnten sogar an der Stelle ein Gen B einfügen, wenn wir ein ensprechendes Konstrukt mit hinzugeben. Den genveränderten Embryo setzen wir wiederum einer Leihmutter ein, die unsere genveränderte Maus dann austrägt.

Das Cas9-System: In der Gentechnik wird für das Zielgen A (orange) ein passender Schnipsel (gelb) im Labor hergestellt. Infiziert man die befruchtete Eizelle (Oozyte) einer Maus mit diesem Schnipsel und dem Protein Cas9, wird das Gen A erkannt und zerstört. Anschließend wird der Embryo einer weiblichen Maus eingesetzt, die eine Maus mit ausgeschalteten Gen A austrägt.


Warum ist das toll?

In vielen Bereichen der Lebenswissenschaften ist es für die Forschung wichtig, ganz geziehlt Gene auszuschalten, zu verändern oder hinzuzufügen. Anschließend werden die Effekte beobachtet und Rückschlüsse gezogen. Das war bisher in vielen Organismen sehr aufwendig und/oder unmöglich. Mit Werkzeugen wie dem Cas9-System stehen jetzt viele Möglichkeiten offen. Auf für die Agro-Gentechnik ist es ein Instrument, um möglichst risikofrei Pflanzen robuster, ertragreicher und resistenter zu machen. Nicht zuletzt erhoffen sich auch viele Forscher neue Impulse innerhalb der menschlichen Gentherapie. Da besonders der letzte Punkt sehr strittig ist, geht es im letzten Teil dieses Eintrags ausschließlich darum. Zuvor sei aber erwähnt, dass es neben CRISPR/Cas auch andere Möglichkeiten zum sehr genaunen Verändern des Erbguts gibt, nämlich „Sequenz-spezifische Endonukleasen“. Wie die funktionieren, wird sehr schön in diesem Video der Nature Publishing Group erklärt.


Sequenzspezifische TALENs und Zinkfingernukleasen (Quelle: Spektrum-Verlag)


Der Mensch zum selber bauen?

In der Gentherapie gibt es prinzipiell zwei Ansätze. Zum einen gibt es die Gentherapie mit somatischen Zellen, in der alle Zellen eines ganz bestimmten Gewebes in einem Menschen verändert werden. Zum Beispiel können Leukämie-Erkrankte mit ihren eigenen Gen-therapierten Blutstammzellen transplantiert werden, falls ein passender Spender fehlt. Zum anderen kann die Gentherapie auf die Keimbahn des Menschen (dort wo Spermien und Eizellen gebildet werden) oder auf einen menschlichen Embryo selbst angewendet werden. Kritiker befürchten nun, das mithilfe des genetic engineering (also zielgerichtetes Verändern des Erbguts in Embryonen) unnatürliche Menschen erschaffen werden könnten, vielleicht sogar Super-Soldaten mit übermenschlichen Kräften oder Gehirrrrne-fressende Zombies. Das würde allerdings schlicht an den Naturgesetzen scheitern (ja, die gelten auch für die Gentechnik). Theoretisch wäre es allerdings möglich, Designer-Babies mit ganz bestimmten Eigenschaften zu erzeugen, z.B. hübscher, schlauer, sportlicher oder charismatischer. Viele Ethiker befürchten den Einzug der Eugenik mit der Keimbahn-Behandlung. Um realistisch zu bleiben, sollte erwähnt werden, dass selbst die Erzeugung einer ganz bestimmten Auge- oder Haarfarbe beim Menschen ganz und garnicht trivial wäre. Von molekularbiologisch so wenig verstandenen Eigenschaften wie Verhalten und Intelligenz ganz zu schweigen. Eltern mit überzogener Erwartungshaltung gegenüber ihrer Kinder müssen ihren Nachwuchs also stattdessen weiterhin mit Dingen wie früh-kindlicher Erziehung drangsalieren. Was jedoch tatsächlich eine Option wäre, ist die Behandlung von Krankheiten wie Chorea Huntigton, Sichelzellanämie oder genetisch bedingter Hypercholesterinämie. Hierbei wäre die Schwere der Krankheit mit den (natürlich auch bei sehr genauen Methoden) bestehenden Risiken abzuwägen. Außerdem steht dabei immer noch die Frage im Raum, ob der Wunsch der Eltern nach einem gesunden Kind höher einzustufen ist, als die genomische Integrität des Nachwuches. Ich befürchte aber, dass wie schon im Fall von Abtreibung, embryonaler Stammzellenforschung und PID eine tatsächlich zielführende Diskursion im politischen und öffentlichen Raum kaum stattfinden wird. Debatten über die ethischen Aspekte der Reproduktionsmedizin werden in Deutschland dann doch viel zu gerne ausgesessen.



Weiterführende Links

Wem die Erklärung zu CRISPR/Cas zu ungenau und zu wenig fachlich ist, empfehle ich zwei Reviews, auf die ich mich beim Schreiben gestützt habe: Zum einen Horvath und Barrangou (2010, Science) als allgemeine Info über CRISPR/Cas (leider nur eingeschränkter Zugriff), zum anderen Sampson und Weiss (2014, Bioessays) über die gentechnologische Anwendung.

Ethisches Pro und Contra von Gentherapie und genetic engineering der School of Medicine, Missouri

Nützliches Lexikon über Genetik und genetisch bedingte Krankheiten der National Institutes of Health


Donnerstag, 12. März 2015

Der Masern-Prozess: eine Komödie in drei Akten

Stell dir vor, du bist bei Günther Jauch und stehst vor der 100.000-EUR-Frage, die da lautet: Gibt es den Masern-Virus wirklich? Die zur Auswahl stehenden Antworten sind A) Ja, B) Nein, C) Vielleicht und D) Nur wenn man ihn sehen kann. Weil du dir nicht ganz sicher bist, nimmst du vorsichtshalber den Publikumsjoker. Die überwältigende Mehrheit tendiert zu Antwort A. Na? Wie würdest du dich entscheiden? Eben. Leicht verdientes Geld. Das dachte sich auch David Bardens, doch die Sache gestaltete sich dann doch etwas schwieriger.

Leichte Frage für 100.000 EUR, oder?  

Erster Akt:

Aber der Reihe nach: Ende des Jahres 2011 versprach der Biologe und Virus-Leugner Dr. Stefan Lanka 100.000 EUR Belohnung denjenigen, der ihm den Nachweis der Existenz des Masernvirus erbringt. Der Mediziner Dr. David Bardens (damals noch Medizinstudent) nahm diese (nicht besonders anspruchsvolle) Herausforderung an. Nachdem er sich bei Lanka versichert hatte, dass die Auslobung auch erst gemeint ist, übersendete er ihm Fachpublikationen, welche die Existenz des Virus belegen sollen. Außerdem seine Bankverbindung mit der Bitte, die 100.000 EUR zu überweisen. Doch Lanka wies die Forderung mit der Begründung zurück, dass die vorlegte Literatur unzureichend sei. Das wollte Bardens nicht auf sich sitzen lassen und zog am 12. April 2014 vor das Landgericht Ravensburg. Und nun beginnt Teil 2 der Posse.

Zweiter Akt:

Schon vor Prozessbeginn kritisierte Lanka, dass die vorgelegte Literatur internationaler Quellen und nicht dem Robert-Koch-Institut (RKI) entstammt und sie deshalb nicht deutschen Normen unterliegen. Dass sich wissenschaftlicher Standard auf nationaler Ebene unterscheidet, wäre mir allerdings neu. Es würde bei den zahlreichen internationalen Forschungskooperationen auf wenig Sinn machen. Und wieso die Studien gerade von dem von ihm geschassten RKI stammen sollen, bleibt ebenfalls ein Mysterium. Das Gericht sah das auch so und berief Prof. Podbielski, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene der Universität Rostock, als Sachverständigen. Er soll beurteilen, ob die eingereichten Publikationen für einen Beleg des Masernvirus ausreichen. Es folgte ein verwirrender Auftritt der Sängerin Marla Glen, ein missglückter Flashmob von Impfgegnern und die zu erwartende Ablehnung des Gutachters durch Lanka ("der Sachverständige sei [in Sachen Viren] nicht unvoreingenommen"). Fast ein Jahr später erging heute das Urteil: Lanka muss zahlen! Das Gericht erkennt die vorgelegten Publikationen als Beweis für die Existenz der Masernviren an. Hat sich die Geschichte damit erledigt? Vermutlich nicht.

Streitsache Masern-Viren (Quelle: RKI)  

Dritter Akt:

Wie verbohrt muss man in seiner eigenen Ignoranz sein, dass man selbst angesichts tausender Publikationen und nach einem von der Öffentlichkeit belächelten Prozess immer noch die Existenz des Masernvirus (ja sogar aller infektiösen Viren) verleugnet. Gut, man könnte sagen, soll er halt denken was er will und es ist ja schließlich sein Geld. Dennoch ist es gefährlich, wenn sich jemand wie Stefan Lanka als vermeintlicher Experte hinstellt und solch einen nonsense verbreitet. So mancher Laie könnte sich (und seinen Kindern) deswegen eine Impfung vorenthalten. Einige Impfkritiker kokettieren nämlich gerne damit, dass sich niemand Lankas ausgelobte 100.000 EUR abholen kommt, also gebe es wohl keinen Beleg für die Existenz des Masernvirus. Nun hat ihnen Bardens schön einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und was macht er jetzt mit der ganzen Kohle? Da hat er auch schon eine hübsche Idee:

Ich [...] werde das [Geld] dann entschrechend auch weiterleiten an Impfprojekte in Entwicklungsländern, weil ich diese Idee so total charmant finde, Geld aus der Tasche der Impfgegner sozusagen direkt an Impfprojekte zu spenden.

Recht hat er! Doch auf das Geld wird er wohl noch warten müssen. Zum einen ist es fraglich, ob Lanka ihn überhaupt auszahlen kann. Denn 100.000 EUR zu versprechen ist eine Sache, 100.000 EUR zu haben eine ganz andere. Zum zweiten hat Lanka Berufung gegen das Urteil angekündigt, damit "kompetentere Stellen" darüber urteilen können. Wieso das Oberlandesgericht nun kompetenter im Beantworten wissenschaftlicher Fragen ist als das Landgericht, bleibt, wie so oft, Lankas kleines Geheimnis.


Weiterführende Links
    -  Sebastian Bartoschek (Ruhrbarone)
    -  GWUP | Die Skeptiker
    -  Bardens-Interview bei Hoaxilla


Nachtrag (31.5.2015)

Auf der Skepkon 2015 sprach David Bardens über Masern und seine Erlebnisse vor, während und nach dem Gerichtsverfahren.